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Ich schäme mich!

Zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

In der Morgenandacht des Deutschlandfunk vom 27. Januar – also an dem Tag, an dem sich zum achtzigsten Mal die Befreiung von Auschwitz jährte – erzählt Pfarrer Stephan Krebs von einer Reise, die ihn mit einer Gruppe vor einigen Jahren in den Libanon führte. In einem Restaurant wäre man zunächst nicht bedient worden. Als man sich um eine Klärung bemühte, stellte sich heraus, dass die Kellner angenommen hatten, sie wären aus den USA und die würde Israel unterstützen. Als klar wurde, dass sie aus Deutschland waren, zeigte man sich wie ausgewechselt und überaus freundlich: Weil die Deutschen so viele Juden wie möglich umgebracht hätten. „Ich bin tief beschämt“, konstatiert er und schlussfolgert in einer Weise, die mich an meinen Friedensplan für den Nahen Osten erinnert:

Der Irrsinn lebt fort. ... Schuld wirkt lange nach. Sogar über Generationen hinweg. Sie wirklich zu überwinden, verlangt viel menschliche Größe – vielleicht sogar übermenschliche: Die Bereitschaft, nicht zu hassen, sondern anzuerkennen. ... Versöhnung wirkt viel länger als Hass. ... Die eigentliche Konfliktlinie im Nahen Osten verläuft nicht zwischen den Israelis und Palästinensern, nicht zwischen Juden, Muslimen oder Christen: Die eigentliche Konfliktlinie verläuft zwischen denen, die Hass und Krieg betreiben und denen, die Frieden und ein gemeinsames Miteinander wollen.

Söhne und Töchter, Mütter und Väter, beste Freunde, Nachbarn, Großeltern: Mehr als eine Million Menschen mit Träumen und Hoffnungen wurden in Auschwitz ermordet, ermordet von Deutschen. Wir fühlen mit und erinnern. Wir dulden kein Vergessen, nicht heute und nicht morgen.

Dulden wir wirklich kein Vergessen? Ist es nicht so, dass wir allenfalls an die geschichtlichen Fakten erinnern: Ohne aus der Geschichte zu lernen – und so der Geschichte weitere Fakten hinzufügen, an die zukünftige Generationen sich dann zusätzlich erinnern müssen? Sind wir nicht in der Lage, das 11. Gebot von Auschwitz in unserem Handeln und nicht nur in unserer Erinnerung daran zu berücksichtigen: „Du sollst nicht gleichgültig sein. Gleichgültigkeit tötet.“

Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen.

Man muss sie erkennen und man muss sich ihnen stellen.

 

Muss der Erfahrung, den Ersten der Tod,

den Zweiten die Not, den Dritten das Brot,

folgen, den Söhnen wieder die Not, den Enkeln den Tod,

weil der Zeitgeist sich als Kleingeist jeder moralischen Veränderung versagt?

Ich hatte schon dem 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz einen BLICKWINKEL und mehrere Posts gewidmet (1, 2). In bleibender Erinnerung ist für mich Rabbi Meir Lau, der in Yad Vashem vor den Führern der Welt zum Ausdruck brachte:

Sie entscheiden über das Schicksal von Millionen. Entscheiden Sie sich für Liebe, Freundschaft und Frieden. Denn Zeichen setzen ist das Eine. Gemessen werden sie an ihren Taten.

Tragisch wie auch bezeichnend, dass ein Video oder Artikel mit diesem Inhalt nicht mehr auffindbar ist: Für mich war es die Geburtsstunde von @LiskeZitate auf TWITTER.

Fünf Jahre sind seitdem ins Land gegangen. Zu den Fakten dieser fünf Jahre gehört, dass Bundeskanzler Olaf Scholz am 15.02.2022 den Krieg mit Russland hätte verhindern können, es jedoch nicht tat (1, 2, 3) und stattdessen am 27.02.2022 die „Zeitenwende“ ausrief. Dabei hatte er noch in einem Interview am 08.12.2021 in der ARD seine Absicht geäußert, auf den Spuren der Friedenspolitik von Willy Brandt (ab 8´00´´) wandeln zu wollen. Seitdem haben wir einige hundert Milliarden Euro aufgewendet, um in Deutschland dauerhaft hohe Energiepreise, die Schwächung seiner Wettbewerbsfähigkeit, die Abwanderung relevanter Unternehmen ins Ausland und insbesondere die USA, Inflation und Rezession zu erreichen und das Land näher an einen weiteren Krieg mit Russland heranzuführen.

Die Bundestagswahl am 23. Februar soll für den weiteren Weg dahin die Zustimmung der Wähler bringen, denn sowohl Friedrich Merz als auch Robert Habeck und Christian Lindner haben ihre Bereitschaft deutlich bekundet, TAURUS an die Ukraine liefern zu wollen. Deren Parteien und hinzukommend die SPD wollen die Ukraine weiter ertüchtigen, Russland bis zum letzten Ukrainer zu schwächen und diese Parteien wie auch die AfD orientieren sich hinsichtlich der Aufrüstung der Bundeswehr an der Forderung von Präsident Donald Trump, dafür 5% des BIP aufzuwenden. Dieses Mal kann der Wähler nicht wie bei der „Zeitenwende“ sagen, er hätte nicht gewusst, was da über ihn kommt: Diese Wahl ist eine Volksabstimmung über die Bereitschaft Deutschlands, „kriegstüchtig“ zu werden – zum Nachteil der sozialen Gerechtigkeit, zum Nachteil der Bildung, der Innovationskraft, der Wettbewerbsfähigkeit und generell der Resilienz gegen die wirklichen Herausforderungen unserer Zeit. Russland gehört nicht zu diesen Herausforderungen und insofern ist das dafür aufgewandte Geld der Steuerzahler verbranntes Geld.

Im Sinne dieser Absichten orchestrieren die Medien variantenreich und immer ungehemmter das Lied vom bösen Russen. Sie scheuen sich auch nicht, den Holocaust dafür zu missbrauchen. So schreibt die Süddeutsche Zeitung:

Noch bezeugen die letzten Überlebenden die Geschichte des Zivilisationsbruchs, aber das hindert die Mächtigen nicht, diese Geschichte zu eigenen Zwecken zu manipulieren. Die Rote Armee hat 1945 Auschwitz befreit. Wladimir Putin nutzt diese historische Tat dazu, seinen Mordfeldzug gegen die Ukraine als Fortsetzung des Kampfes gegen ‚Nazis‘ schönzufärben.

Dass die Natur dieses Krieges die eines Krieges der USA gegen Russland und auch Deutschland ist, das es in dem Krieg bisher unter der Zivilbevölkerung ca. 12.500 Opfer gab, während im Gaza ca. 47.000 umkamen – davon 17.000 Kinder –, wird vollkommen ignoriert. Das gilt auch dafür, dass sich am 27. Januar nicht nur die Befreiung von Auschwitz zum achtzigsten Mal gejährt hat, sondern auch die von Leningrad. Die 872 Tage währende Blockade der Stadt durch die deutsche Wehrmacht brachte 1,1 Millionen Menschen den Tod – ähnlich viel wie in Auschwitz. Schon 2014 schrieb ich in der FAZ:

Wenn Deutschland in Demut vor sechs Millionen ermordeter Juden mit großer Nachsicht den Weg des heutigen Israel begleitet, so sollte es nicht vergessen, dass 20 Millionen getöteter Russen ebenfalls zu der deutschen Verantwortung gehören.

Es sei mir erlaubt, ein letztes Zitat einzubringen: Wenn ich 2016 von meiner Sorge schrieb, nicht irgendwann sagen zu müssen, „Deutschland – mir graut vor Dir“ oder gar, „Deutschland seine Tragik“, so hat sich Deutschland inzwischen auf genau diesen Weg begeben. Er läuft dem „Nie wieder“ von Auschwitz vollkommen entgegen und hat nichts, aber auch gar nichts mit der AfD zu tun – wenn ich mich auf die primären Verantwortungen fokussiere und die sicher gegebene für die gesellschaftliche Verfasstheit an der Stelle mal ignoriere. Das manifestiert sich nicht nur im Umgang mit Russland sondern auch mit der Ukraine und es sei hier allein mal auf die medialen Reaktionen zum Plan der „Entgiftung“ der Krim verwiesen. Muss wirklich darauf hingewiesen werden, dass die Einordnung als Völkermord und von Verbrechen als solchen gegen die Menschlichkeit es nicht erfordert, vorher die Nationalität zu prüfen?

Daher: Ich schäme mich,

  • dass wir Deutschen es nicht schaffen, aus der deutschen Staatsräson abzuleiten, dass die Prämissen, nach denen von einem Völkermord zu sprechen ist – die aus dem Holocaust abgeleitet wurden –, nicht dazu führen, dass wir den Völkermord an den Palästinensern entsprechend brandmarken und ihn sogar mit deutschen Waffen unterstützen,

Wir werden der Staatsräson nicht gerecht, wenn wir nicht konsequent entlang Albert Schweitzer (Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das Leben will), Papst Franziskus (Aufforderung zum heilen und dazu ganz unten anzufangen) und Rabbi Meir Lau (Entscheiden Sie sich für Liebe, Freundschaft und Frieden) wirken.

  • dass wir angesichts unser geschichtlichen Verantwortung – zu der auch 24 Millionen Tote in der Sowjetunion gehören – es nicht schaffen, die deutsche Staatsräson auch auf Russland ausdehnen – denn die „Achtung“ des Vermächtnisses aus dem Holocaust ist unmöglich ohne die universelle „Achtung“ vor der Schöpfung – und stattdessen mit unserer Russophobie, mit unserem Drang nach Osten, mit unseren Waffen und unseren Sanktionen für weiteres Leid verantwortlich sind: Schon jetzt zu unserem größeren Schaden,

  • dass kein deutscher Politiker und kein Leitmedium meine Gedanken zum Antisemitismus und meinen Friedensplan für den Nahen Osten aufgegriffen oder seine Naivität diskutiert hat und mir so ähnliche Erfahrungen im Sinne von Verdrängung vermittelt werden, wie ich sie schon in der NSA-Affäre sammeln musste.

Die Deutschen mögen keine konventionellen Dialoge.

Sie bevorzugen Monologe – sie schweigen und denken sich ihren Teil –

oder sie diskutieren mit Dritten, was sie bewegt.

Aus dem Mangel an Auseinandersetzung erwächst die Schwäche an Kritikkompetenz

und aus ihr der Mangel an Belehrbarkeit.

Ein solches Volk – trainiert im Schweigen – redet lieber über-

statt miteinander, grenzt aus statt einzubinden, ist eher unterwürfig

statt demütig und aggressiv statt ausgleichend, stärkt den Schein

anstatt das Sein, stärkt lieber die Rüstung statt die Moral.

Ein solches Volk – ausgestattet mit fast allem, was notwendig ist,

um Geschichte zu schreiben –, macht sich auf, Geschichte zu werden.

Es liegt an seinem Wesen.





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